Station 1: Friederike von Riedesel *Geboren: 11. Juli 1746 in Brandenburg Gestorben: 29. März 1808 in Berlin* »Fritzchen«, wie sie wegen ihres lebhaft-burschikosen Wesens genannt wurde, wurde am 11. Juli 1746 als zweite Tochter des preussischen Ministers Julius von Massow geboren, der im Siebenjährigen Krieg preußischer Oberkommissar bei den alliierten Armeen war. Da es damals üblich war, dass die Angehörigen des Militärs diese zu den jeweiligen Kriegsschauplätzen begleiteten, waren für sie ab dem 10. Lebensjahr Krieg, soldatische Umgangsformen und militärische Disziplin die beherrschenden Elemente ihrer Erfahrungswelt. Mit 16 Jahren heiratete sie den Offizier Friedrich Adolf von Riedesel Freiherr zu Eisenbach, mit dem sie nach dem Pariser Frieden 1763 in das Haus am Stadtmarkt 8 zog. Hier lebte die Familie mit kurzer Unterbrechung fast 12 Jahre. In dieser Zeit werden ihre ersten zwei Töchter geboren. Im Februar 1776 bricht Oberstleutnant von Riedesel auf, um die braunschweigischen Truppen in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zu führen. Friederike ist gerade mit dem dritten Kind schwanger. Doch gleich nach dem Wochenbett folgt sie ihrem Mann mit ihren drei Kindern auf den noch kaum gekannten Weltteil. An ihre Mutter schreibt sie: »Zu bleiben, da mir der beste, der zärtlichste Mann erlaubte, ihm zu folgen, wäre mir unmöglich gewesen. Pflicht, Liebe und Gewissen gestatteten mir es nicht.« Nach vielen Umwegen und Verzögerungen ist die Familie in Québec im Sommer 1777 wieder vereint. Von jetzt an folgt Friederike, wie auch andere Damen der Armee, ihrem Mann mit den Kindern an die Front. Während der zehntägigen Kämpfe bei Saratoga kümmert sie sich um die Verwundeten und das Wohl der Truppe. Nach der Kapitulation am 17. Oktober 1777 müssen die Angehörigen der britischen Armee als Kriegsgefangene im Lande bleiben. Die katastrophale Versorgungslage in denverschiedenen Internierungslagern führt dazu, dass Friederikes Kinder Hunger leiden, obwohl ihre Mutter versucht, das Nötigste zusammenzubetteln. Im Frühjahr 1780 kommt Tochter Amerika zur Welt. Bald darauf wird General von Riedesel ausgewechselt, und die Familie lässt sich in Québec nieder, wo Friederike einen beachtlichen landwirtschaftlichen Betrieb zur Versorgung der eigenen Familie und der verbleibenden Truppenangehörigen aufbaut. 1781 wird ihre fünfte Tochter Canada geboren. Doch Friederike erkrankt an Milchfieber, das kleine Mädchen stirbt an Entkräftung. Im Sommer 1782 schließlich kehren die Riedesels nach Europa zurück und treffen im Herbst des darauffolgenden Jahres wieder in Wolfenbüttel im Haus Stadtmarkt 8 ein. Friederikes Erinnerungen an ihr ungewöhnliches Leben werden im Jahr 1800 unter dem Titel »Die Berufsreise« mit großem Erfolg veröffentlicht. »Lady Fritze« stirbt am 28. März in Berlin. *Text: Jutta Pyzik*
Station 2: **Die Fürstinnen im Schloss** *Heinrichstadt, Juliusstadt und Auguststadt, diese Quartiere der Altstadt Wolfenbüttels erinnern an drei bedeutende Herzöge, die im Wolfenbütteler Schloss residierten. Die Spuren der Frauen, die diesen Männern zur Seite standen, sind weniger offensichtlich. Tatsächlich jedoch haben einige von ihnen, und jede auf ihre ganz persönliche Weise, bedeutenden Einfluss auf das Leben ihrer Männer und Söhne und damit auch auf das Schicksal dieses Landes genommen. **Sophia - Prinzessin von Polen** war eine davon.**Geboren: 1522 Gestorben: 1575* »Ausgleichende Klugheit im Wirbel der Reformation« Die hochgebildete, liebenswürdige, reiche und schöne Prinzessin entstammte dem königlichen Geschlecht der Jagiellonen. Mit 34 Jahren – 1556 – heiratete sie Herzog Heinrich den Jüngeren und geriet damit mitten in die Auseinandersetzungen der Reformationszeit. 3 Jahre zuvor hatte Heinrich, der treu zum Papst hielt, in der Schlacht bei Sievershausen seine beiden ältesten Söhne verloren. Seinen jüngsten Sohn Julius, der zum lutherischen Glauben übergetreten war, hatte er verstoßen. Durch seine eheliche Verbindung mit Sophia erhoffte sich der betagte Heinrich einen neuen Thronfolger. Diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung, doch Sophia erkannte sehr bald die Fähigkeiten ihres Stiefsohnes Julius. Schützend und fördernd stellte sie sich zwischen Vater und Sohn und bewirkte schließlich eine Annäherung, die dem hervorragenden Julius nach dem Tode seines Vaters die Thronfolge sicherte. Als Witwe zog sich Sophia 1568 nach Schöningen zurück und schloss sich 1570 selbst der Reformation an. Aus ihrem eigenen Vermögen förderte sie neben vielen Kirchen und Klöstern des Landes auch das Juleum, die neugegründete Universität in Helmstedt. In der Hauptkirche Beatae Mariae Virginis erinnern an sie der Kronleuchter, den sie als Geschenk für die Schlosskapelle mitgebracht hatte und an der Südwand des Langhauses die Grabplatte, die sie an der Seite Heinrichs und seiner gefallenen Söhne zeigt. *Text von Ruth Gesa Hübbe*
Station 3: **Die Fürstinnen im Schloss** *Heinrichstadt, Juliusstadt und Auguststadt, diese Quartiere der Altstadt Wolfenbüttels erinnern an drei bedeutende Herzöge, die im Wolfenbütteler Schloss residierten. Die Spuren der Frauen, die diesen Männern zur Seite standen, sind weniger offensichtlich. Tatsächlich jedoch haben einige von ihnen, und jede auf ihre ganz persönliche Weise, bedeutenden Einfluss auf das Leben ihrer Männer und Söhne und damit auch auf das Schicksal dieses Landes genommen. **Sophia Elisabeth von Mecklenburg-Güstrow** war eine davon.**Geboren: 1613 Gestorben: 1676* »Ein erfülltes Leben als Mutter und Landesmutter, Dichterin und Komponistin« Die Regierungszeit Herzog Augusts von 1635 bis 1666 wird als große Epoche in der Geschichte der Stadt gefeiert. Das Herzogtum wurde aus dem 30jährigen Krieg herausgeführt, die Schulen wieder aufgebaut, die berühmte Bibliothek nach Wolfenbüttel gebracht, die Auguststadt errichtet und die Wirtschaft wieder angekurbelt. Für die kulturellen Aktivitäten des Hofes, für die Musik und das Theater war jedoch nicht der Herzog verantwortlich, sondern seine musikalisch und literarisch hochbegabte dritte Frau Sophie Elisabeth von Mecklenburg-Güstrow. Sie war 33 Jahre jünger als Herzog August. Die Schauspiele und Feste, die sie ausrichtete und für die sie Texte und Musik schrieb, waren Teil der Erziehung ihrer Kinder. Berater der Herzogin in musikalischen Fragen war der berühmte Kapellmeister am Dresdner Hof, Heinrich Schütz, der dem Herzogspaar freundschaftlich verbunden war und 1645 von Herzog August zum »Obercapellmeister von Haus aus« berufen wurde. Er führte einen langjährigen »musikalischen« Briefwechsel mit der Herzogin und nannte Sophia Elisabeth eine »in der löblichen Profession der Musick, unvergleichlich perfectionierte Princessin«. Auch das literarische Werk der Herzogin fand hohe Anerkennung. Sie war Mitglied der »Fruchtbringenden Gesellschaft« und führte den Beinamen »die Befreiende«. Ethische Fragen und religiöse Werte stehen im Mittelpunkt ihres dichterischen Werkes. Die Herzogin, bei ihrer Heirat noch nicht 22 Jahre alt, wurde eine vorbildliche Landesmutter, die ihren Gemahl bei der Sorge um Land und Leute unterstützte. Ausdruck ihrer tiefen Frömmigkeit waren nicht nur ihre Dichtungen und Kompositionen, sondern auch ihr tägliches Handeln. Ihr erfülltes Leben als Mutter und Landesmutter, Dichterin und Komponistin, Erneuerin und Mittelpunkt der Hofkultur endete am 12. Juli 1676, kurz vor der Vollendung ihres 63. Lebensjahres. *Text von Ruth Gesa Hübbe*
Station 4: **Die Fürstinnen im Schloss** *Heinrichstadt, Juliusstadt und Auguststadt, diese Quartiere der Altstadt Wolfenbüttels erinnern an drei bedeutende Herzöge, die im Wolfenbütteler Schloss residierten. Die Spuren der Frauen, die diesen Männern zur Seite standen, sind weniger offensichtlich. Tatsächlich jedoch haben einige von ihnen, und jede auf ihre ganz persönliche Weise, bedeutenden Einfluss auf das Leben ihrer Männer und Söhne und damit auch auf das Schicksal dieses Landes genommen. **Anna Amalia - Prinzessin zu Braunschweig-Lüneburg, Herzogin von Sachsen-Weimar** war eine davon.**Geboren: 1739 Gestorben: 1807* »Man nannte mich nur den Ausschuß der Natur« Anna Amalia, die spätere Begründerin des berühmten Weimarer Musenhofes, wurde 1739 als fünftes Kind des Herzogpaares Karl I. und Philippine Charlotte geboren. Ihre Kindheit im Schloss verlief, will man ihren eigenen Angaben vertrauen, sehr unglücklich. Sie schrieb später darüber: »Meine Erziehung zielte auf nichts weniger, als mich zu einer Regentin zu bilden. […] Nicht geliebt von meinen Eltern, immer zurückgesetzt, meinen Geschwistern in allen Stücken nachgesetzt, nannte man mich nur den Ausschuß der Natur. […] Es brachte mich öfters zur Verzweiflung sogar, daß ich einmal mir das Leben nemen wollte.« Dieses düstere Bild relativiert sich etwas, sowohl in Hinblick auf die Bildung der Herzogin als auch auf die Liebe ihrer Eltern, wenn man bedenkt, welche intellektuellen Fähigkeiten sie als Regentin zeigte und wie positiv die späteren Urteile ihrer Mutter über das angeblich ungeliebte Kind ausfielen. 1756 wurde die Hochzeit von Anna Amalia und Ernst August Constantin von Sachsen-Weimar prächtig gefeiert. Zwei Jahre später war die junge Herzogin bereits verwitwet. Ihr Mann starb während ihrer zweiten Schwangerschaft, ernannte sie aber überraschend zum alleinigen Vormund der Kinder und zur Regentin. Anna Amalia wuchs in diese Aufgabe hinein. 16 Jahre regierte sie das Territorium. Sie holte den Dichter Wieland als Erzieher ihrer Kinder nach Weimar, dem bald andere Schriftsteller folgten: Herder, Goethe, Schiller. 1775 übergab sie die Regierung an ihren Sohn, jedoch nicht ohne das schmerzliche Empfinden, dadurch eine Macht preisgeben zu müssen, die ihr sehr viel persönliche Befriedigung gegeben hatte. Stattdessen lernte sie nun Englisch, Latein, Griechisch, Italienisch, sie komponierte und sie malte. Sie lud die Dichter und Denker Weimars zu informellen Gesprächsrunden nach Schloss Tiefurt ein, sie pflegte das Liebhabertheater und die Musik. Soweit bekannt, war Anna Amalia im Jahr 1771 das letzte Mal in Wolfenbüttel, um die von Gotthold Ephraim Lessing geführte Bibliothek zu besuchen. Sie selbst war für den Bau der jetzt nach ihr benannten Weimarer Bibliothek verantwortlich. Im Schloss gab es nichts mehr zu sehen. Hier wohnte nur noch Lessing, schon seit einem Jahr im Amt und tief unglücklich über das einsame Leben in der vom Hof verlassenen Stadt. Damit können wir mit Recht sagen, dass Anna Amalia die letzte starke Frau aus dem Wolfenbütteler Fürstenhaus gewesen ist, derer man hier im Schloss gedenken könnte. *Text von Ruth Gesa Hübbe*
Station 5: Eva König *Geboren: 22. März 1736 in Heidelberg Gestorben: 10. Januar 1778 in Wolfenbüttel* Eva König hieß sie ihr halbes Leben, als solche bewies sie Stärke, und unter diesem Namen ging sie in die Geschichte ein. Doch erst als Eva Lessing wurde sie für die Nachwelt interessant. Geboren wurde sie als Eva Catharina Hahn am 22. März 1736 in einem stattlichen, noch vorhandenen, Bürgerhaus in Heidelberg, das ihr Vater kaufte, als sie zwei Jahre alt war; er starb im gleichen Jahr. In Heidelberg verlebte sie mit der Mutter, drei älteren Brüdern und einer Schwester ihre Jugend. Zwanzigjährig heiratete sie am 2. August 1756 den Hamburger Kaufmann Engelbert König. Von sieben geborenen Kindern in dreizehnjähriger Ehe wurden vier erwachsen. Als Lessing 1767 nach Hamburg kam, gehörte bald auch das Ehepaar König zu seinem Freundeskreis; er wurde Pate des jüngsten Sohnes Fritz. Ein Jahr später starb Engelbert König auf einer Geschäftsreise in Venedig. Wie vom Freund im Ernstfall erbeten, leistete Lessing der Witwe und den Kindern Beistand. Man wurde vertrauter miteinander. Nach einigen Monaten verließ Lessing Hamburg, um im Mai 1770 das Amt des Bibliothekars in Wolfenbüttel anzutreten. Mit Ausnahme weniger Begegnungen folgte eine sechsjährige Trennung. Im nun beginnenden Briefwechsel ist uns ihr Schicksal für diese Zeit überliefert. Lessing nennt Eva eine »fertige Briefschreiberin«, worauf sie antwortet, der »Komplimententon kleide ihn nicht, er solle sich künftig davor hüten«. Sie schickt ihm Schinken und Spargel, und er schreibt: »bedenken Sie fein, meine liebe Freundin, dass der Mensch nicht nur von geräuchertem Fleisch und Spargel, sondern was mehr ist, von einem freundlichen Gespräche, mündlich oder schriftlich, lebet.« Freundschaftlich, offen, vertrauensvoll findet die gegenseitige Annäherung schriftlich statt. Im August 1770 begibt sich Eva auf ihre erste Reise nach Wien, um dort die Verwaltung der von ihrem Mann hinterlassenen Seiden- und Tapetenfabriken zu übernehmen. Für ein paar Tage macht sie in Braunschweig Station und ist mit Lessing zusammen. Anschaulich, trotz der überstandenen Strapazen nicht ohne Humor, sind ihre Reiseberichte. Aus Salzburg schreibt sie, dass man dort »Geschmack« habe: in der Komödie habe es sechsmal hintereinander die »Minna« gegeben, wobei es »allemal vollgepfropft« gewesen sei. Auf der Rückreise von Wien ist sie wieder einige Tage in Braunschweig und im Mai 1771 zurück in Hamburg. Als Lessing im September zu Besuch kommt, verloben sie sich. Kurz darauf berichtet sie ihm von ihrem Schmerz über den Tod ihrer Mutter. Er schreibt: »Wollte nur der Himmel, dass Ihnen die Versicherung, bei dem allen noch eine Person in der Welt zu wissen, die Sie über alles liebt, zu einigem Troste gereichen könnte. Diese Person erwartet alle Glückseligkeit, die ihr noch beschieden ist, nur allein von Ihnen.« Bei Eva heißt es in einem Brief: »Sie wissen, dass ich Sie herzlich liebe, über alles hochschätze und es kein Glück auf der Welt für mich gibt, wenn ich es nicht mit Ihnen teilen soll.« Die Wiener Fabriken machen finanzielle Schwierigkeiten; vor einer Verbindung möchte sie ihre Vermögensverhältnisse geregelt haben. Nach mehr als drei Jahren ist im April 1775 auch Lessing in Wien; sie verleben einige glückliche Wochen miteinander. Da Eva inzwischen ihre Geschäfte zu einem glücklichen Ende gebracht hat, beschließt man die gemeinsame Rückreise. Doch wieder gibt es eine lange Trennung, denn Lessing wird vom Braunschweiger Hof als Begleiter des Prinzen Leopold auf eine Italienreise beordert, die sich über Monate hinzieht. Endlich ist dann aber die Hochzeit am 8. Oktober 1776 in York im Alten Land, im Hause eines Hamburger Freundes. In einem Brief hatte Eva einmal an Lessing geschrieben: »Ich bitte Sie inständig, trachten Sie danach, in Wolfenbüttel zu bleiben. Es ist von allen den Orten, wohin Sie denken, der einzige, an dem wir leben können, wie wir wollen.« Nun kommt sie mit Ihrem Mann, Tochter Malchen und Lessings Patenkind Fritz in diese Stadt. Aber nur ein einziges, glückliches Jahr ist ihnen beschieden, das Weihnachten 1777 mit Geburt und Tod des Sohnes Traugott ein jähes Ende findet. Am 10. Januar 1778 stirbt Eva an den Folgen der Geburt. Lessing schreibt an seinen Freund Eschenburg: »Wenn ich mit der einen Hälfte meiner übrigen Tage das Glück erkaufen könnte, die andere Hälfte in Gesellschaft dieser Frau zu verleben, wie gern würde ich es tun!« *Text: Ingrid Götze* In Gedenken an Eva König wurde 1929 ein Gedenkstein auf dem Bürgerfriedhof (Landeshuter Platz) errichtet. Der genaue Standort ihres Grabes ist nicht bekannt.
Station 6: Henriette Breymann *Geboren: 16. September 1827 in Mahlum Gestorben: 25. August 1899 in Berlin* Ihre Kindheit und Jugend verbrachte Henriette Breymann in Mahlum (bei Lutter am Barenberge) und Wolfenbüttel. Hier besuchte sie die Töchterschule. Sie war das älteste von zehn Geschwistern in einer Pastorenfamilie. Im Alter von 21 Jahren begegnete sie dem Reformpädagogen Friedrich Fröbel, einem Cousin ihrer Mutter. Fröbel hatte für die damalige Zeit völlig neue pädagogische Grundsätze entwickelt: selbstständige Aneignung des Lernstoffs, aktive Mitarbeit im Unterricht, lebendige Erfahrung statt sinnloser Paukerei. Henriette war begeistert. In Dresden lernte sie in Fröbels Kindergärten und den angeschlossenen Seminaren für Kindergärtnerinnen, wie die Theorie in die Praxis umgesetzt wurde. Nach abgeschlossener Ausbildung in Dresden und ersten Anstellungen in Schweinfurt und Baden- Baden kehrte sie 1854 zu ihrer Familie zurück, die in Watzum ein geräumiges Pfarrhaus bezogen hatte. Hier gründete sie im selben Jahr ein Unterrichtsinstitut für Mädchen mit angeschlossenem Internat. Es ist erstaunlich, wie Eltern und Geschwister sich bereitfanden, unter Henriettes Leitung zu unterrichten. Immerhin gab es neben Hauswirtschaft und Handarbeit auch Religion, Geografie, Naturkunde, Botanik, Rechnen, Englisch, Französisch, Zeichnen, Klavier, Gesang, Turnen und sogar Schlittschuhlaufen. Nach zwei Jahren erfolgreicher Arbeit wurde das Programm des Watzumer Instituts der Öffentlichkeit vorgestellt. Ein Jahr später wurden Kurse zur Ausbildung berufsmäßiger Erzieherinnen eingerichtet. Den Kindergarten für die praktische Schulung leitete Henriettes Schwester Marie, die mit ihr bei Fröbel gewesen war. Es war der erste Kindergarten im Herzogtum Braunschweig. Bald gewann das »Breymannsche Institut« internationalen Ruf. Henriette wurde zu Vorträgen nach Belgien, in die Schweiz und nach Schottland eingeladen. Die Plätze in Watzum waren für drei Jahre im Voraus ausgebucht. Das große Pfarrhaus wurde viel zu klein. Da kauften die Eltern kurz entschlossen eine ehemalige Gastwirtschaft mit großem Gelände in der Nähe des Lechlumer Holzes (Ecke Henriette-Breymann- Straße/Neuer Weg, wo heute eine Tankstelle liegt). Nach dem Umbau wurde das Institut unter dem Namen »Neu Watzum« feierlich eröffnet. Henriette Breymann hielt außerdem in Wolfenbüttel Vorträge über Kindergärten und Frauenbildung und verfasste einen Aufsatz »Zur Frauenfrage«. Dadurch regte sie die Bildung eines »Vereins zur Erziehung« an, der in den Räumen des Schlosses einen Kindergarten und eine Fortbildungsklasse für »erwachsene Mädchen« einrichtete. Das in »Neu Watzum« gegründete Lehrerinnenseminar wurde angeschlossen. Das war im Jahre 1866 der Anfang der Schlossanstalten, die gemeinsam von Henriette Breymann und ihrer Mitarbeiterin Anna Vorwerk begründet wurden. Obwohl beide Frauen miteinander befreundet waren, zeigten sich bald unüberwindbare Gegensätze in den Unterrichtszielen. Anna Vorwerk setzte auf Tüchtigkeit, Fleiß, Ordnung und verwertbare Zeugnisnoten. Der Schulverein musste sich zwischen beiden »starken Frauen« entscheiden. Er bestimmte Anna Vorwerk zur alleinigen Leiterin der Schlossanstalten. Enttäuscht, aber nicht entmutigt, zog sich Henriette auf die Leitung ihres Instituts zurück und richtete dort sofort eine neue Ausbildungsklasse ein. Auch hatte sie im Erziehungsverein einen Mitstreiter für ihre Sache kennengelernt, den späteren Eisenbahndirektor Schrader. Er war zwar sieben Jahre jünger als sie, aber er entsprach ihrer Vorstellung von einem Mann, der sie nicht nur zu seinem persönlichen Glück brauchte, sondern auch zur gemeinsamen Lösung einer Lebensaufgabe. So setzten sich beide souverän über den Altersunterschied hinweg. Henriette folgte ihrem Mann nach Berlin. Die Leitung des Instituts übernahm ihr Bruder Karl. Auch die letzten 25 Jahre im Leben Henriettes waren erfüllt von intensiver Tätigkeit. Den Eheleuten gelang es, ihre Vorstellungen von Partnerschaft zu verwirklichen. Er unterstützte sie neben seiner beruflichen Tätigkeit bei der Gründung des Pestalozzi-Fröbel- Hauses (Einrichtungen: ein Seminar für Kindergärtnerinnen, zwei Elementarklassen, ein Kinderhort sowie eine Haushaltungs- und Kochschule).Sie teilte sein politisches Engagement. (Er war linksliberal orientiert und wurde 1890 im Wahlkreis Wolfenbüttel- Helmstedt für die Freisinnige Partei in den Reichtstag gewählt.) Zusätzlich engagierte sich Henriette erfolgreich vor allem im sozialen Bereich und in Frauenfragen, bis sie im Jahre 1893 erkrankte und ihre Arbeit einschränken musste.Sechs Jahre später starb sie in Berlin. Außer einem Grabstein und dem Namen einer kleinen Straße erinnert heute in Wolfenbüttel nichts mehr an diese unermüdliche Vorkämpferin einer weiblichen und emanzipierten Pädagogik. *Text: Herbert Schnoor*
Station 7: Anna Vorwerk *Geboren: 16. April 1839 in Holzminden Gestorben: 18. November 1900 in Wolfenbüttel* Anna Vorwerk hat in einem schönen, großzügigen Haus leben dürfen, treu und liebevoll umsorgt von ihrer Mutter, die sie fast ihr ganzes Leben begleitet hat. Im heutigen »Silbersaal«, wo zu ihrer Zeit viele festliche und gesellige Ereignisse stattgefunden haben, hängt über dem Kamin ihr Porträt als junge Frau. Anna Vorwerk war Leiterin, doch nicht Begründerin der nach ihr benannten Schlossanstalten, heute: »Gymnasium im Schloss«. Als wohlhabende Tochter eines Justizamtmannes am 12. April 1839 in Holzminden geboren, interessierte sie sich wie andere junge Mädchen aus gutem Hause für Fragen der Erziehung und im Besonderen der Mädchenbildung. Intelligent, sehr musikalisch – sie hatte Klavierstunden bei Brahms – sah sie in Wolfenbüttel eine Möglichkeit zu aktiver Betätigung, denn es gab ja bereits das Breymannsche Institut, eine international anerkannte Bildungsstätte für Mädchen. Acht engagierte junge Damen, darunter Henriette Breymann und Anna Vorwerk, gründeten am 2.5.1866 den »Verein für Erziehung «, in Wolfenbüttel bald »Damenverein« genannt. Anna Vorwerk war Schriftführerin. Man begann mit einem Kindergarten, strebte aber eine Höhere Töchterschule an. Das Herzogliche Oberhofmarschallamt gab im leerstehenden Schloss einige Räume kostenlos für 6 Jahre ab mit der Auflage, sie wohnlich zu machen und für ihre Erhaltung zu sorgen. Schnell wuchs das Unternehmen: drei Elementarklassen entstanden, ein Lehrerinnenseminar schloss sich an. Nun war Wissensvermittlung gefragt; Arbeit, Disziplin und Unterordnung gewannen an Bedeutung. Der Fröbelsche Ansatz einer ganzheitlichen Persönlichkeitsbildung, den Henriette Breymann vertrat, rückte in den Hintergrund. Nach spannungsreichen Jahren schied 1870 Henriette Breymann aus dem Verein und dem Schloss- Unternehmen aus – Anna Vorwerk wurde die alleinige Leiterin. Sie kaufte kurzerhand das Inventar des Vereins auf, der sich dann auflöste. Es gelang ihr, Zuschüsse von der Regierung zu erwirken, so dass die Anstalt sich ab 1874 mit Schulgeld selbst trug. Die pädagogische Kompetenz hatte Berta Glöckner, der »Schlossvater « genannt. Sie führte ein strenges Regiment. »Zucht und Ordnung«, »Amazonenstrom« und »Wallschlange« – solche Etikettierungen machten damals in Wolfenbüttel die Runde. Die Schule entwickelte sich schnell und kontinuierlich; ab 1879 dauerte die Schulzeit 10 Jahre. Ein Mittelschulkurs entstand, 1880 auch eine Gewerbeschule für die weniger Begabten. Anna Vorwerk verstand sich als »Schlossmutter«. Sie kümmerte sich um alles, hielt tägliche Sprechstunden, veranstaltete regelmäßige abendliche Konferenzen, bei denen gestrickt und vorgelesen wurde, betreute Schlossbibliothek und Garten, organisierte Schulfeste, betrieb das Mädchenturnen. Vor allem aber pflegte sie die Musik, auch durch morgendliche Andachten, wo sie den Gesang auf dem Harmonium begleitete. Es gibt begeisterte Berichte über ihren Unterricht in Kunstgeschichte und Literatur: »...Wenn der Name Goethe genannt wird, lebt da nicht vor allen Schloss-Kindern eine ganze Reihe von geweihten Stunden wieder auf ?…« Anna Vorwerks liebstes, aber schwierigstes Projekt war der Oberstufen-Unterricht. Dafür brauchte sie Oberlehrerinnen mit wissenschaftlicher Ausbildung. Es gelang ihr, neun Göttinger Professoren für Universitätskurse zu gewinnen, an denen Absolventinnen des Lehrerinnenseminars nach mehrjähriger Berufspraxis teilnehmen durften; 1883 waren es zwölf Lehrerinnen aus Wolfenbüttel. Anna Vorwerk lag die »Frauenbildungsfrage«, nicht aber die Gleichberechtigung am Herzen: »Es kommt uns deshalb bei der Ausbildung der Oberlehrerin nicht darauf an, eine genaue Parallele mit der Oberlehrerbildung zu ziehen und so gewissermaßen eine intellektuelle Kraftprobe zwischen Mann und Frau zu veranstalten … die weibliche Natur wird und muss sich auch auf intellektuellem Gebiet anders – teils früher, teils später als die männliche entwickeln, und ihre Bedürfnisse und Äußerungen nicht berücksichtigen zu wollen, würde zur Unnatur und damit zur Unfruchtbarkeit führen.« Schließlich richtete Anna Vorwerk ein »Feierabendhaus« für alte Lehrerinnen ein, das sie ab 1890 in unermüdlicher Arbeit aus den Erlösen von Basaren, Benefizkonzerten, Sammlungen aller Art finanzierte. Sie starb am 18. November 1900. Bis dahin hatten 444 Schülerinnen das einfache Lehrerinnenexamen bestanden; die meisten haben ihren Beruf auch ausgeübt. *Text: Urte von Berg*
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